Wie erfolgt die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs und welche Arten der Immunisierung gibt es bei COVID-19? Eine Übersicht.

(aktualisiert: 05.02.21)

 

Die Liste ist lang. Laut WHO gibt es derzeit über 230 Impfstoffprojekte, 63 sind bereits in der klinischen Phase (Stand 29.01.2021). Zugelassen, auch in der EU, sind bereits 3 Impfstoffe: Die mRNA-Kandidaten von Biontech/Pfizer sowie Moderna und der Vektorimpfstoff von AstraZeneca.

Bis vor wenigen Jahren hätte man von der Analyse des Virus bis zur Zulassung des Impfstoffs rund 10 bis 15 Jahre angesetzt. In der beispiellosen Situation der Corona-Pandemie wurde eine enorme Beschleunigung möglich, nicht zuletzt aufgrund der Vorerfahrung mit Coronaviren und Impfstoffprojekten. Bei der Fahrt auf der Überholspur kann einen zunächst ein mulmiges Gefühl beschleichen, es gibt jedoch viele Erklärungen für die schnelle Entwicklungen, die die Sicherheit nicht beeinträchtigen sollen  – und somit auch neue Perspektiven.

 

Die Phasen der Impfstoffentwicklung

In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Prüfung klinischer Studien zuständig. Anträge müssen unter Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils genehmigt werden, die Frist hierfür beträgt max. 30 Tage. Am 22. April hat das PEI die erste klinische Prüfung eines Impfstoffs gegen COVID-19 in Deutschland genehmigt, bereits nach wenigen Tagen.

Bevor ein Impfstoff an Menschen getestet wird, muss er sich präklinischen Studien in Zellkultur und Tierversuchen beweisen. Kann der Wirkstoff das Virus hindern, menschliche Zellen zu infizieren? Welche Dosis ist wirksam? Zeigt er in Tierversuchen Nebenwirkungen, die den Einsatz beim Menschen ausschließen? Wie könnte der Impfstoff verabreicht werden?

Hat sich ein Kandidat bewährt, wird er beim Menschen in klinischen Studien eingesetzt:

  • In Phase I wird an einer kleinen Gruppe von rund 100 gesunden Probanden gemessen, ob und wie gut eine Immunantwort ausfällt und wie verträglich er ist.
  • Nach einer Beobachtungszeit der Geimpften wird der Wirkstoff in Phase II an mehreren Hundert Probanden getestet und sowohl die Dosis optimiert sowie Nebenwirkungen analysiert.
  • In Phase III mit Tausenden bis Zehntausenden Probanden muss sich der Impfstoff beweisen: Ist messbar, dass sich Geimpfte mit dem Erreger nicht infizieren? Ist er sicher oder gibt es verstärkte Symptome?
  • Hat sich der Kandidat hier bewiesen, ist die Prüfbehörde für die Zulassung (Phase IV) am Zug, für Europa ist das die European Medicines Agency (EMA), sie gibt Empfehlungen an die Kommission, die letztendlich die Zulassung erteilt oder nicht.

Auch wenn der Impfstoff dann auf dem Markt ist, laufen die Studien noch weiter. Es wird weiterhin beobachtet, ob Geimpfte den Wirkstoff gut vertragen. Kommt es etwa zu Nebenwirkungen, muss dies an die zuständigen Bundesoberbehörden Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM), das Paul Ehrlich Institut (PEI) und an den Hersteller gemeldet werden meisten.

 

Auf der Überholspur

Den größten Teil der Entwicklungszeit nimmt die Erprobung von Impfstoffen mit Freiwilligen in Anspruch. Normalerweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffes viele Jahre bis Jahrzehnte. In der aktuellen Coronavirus-Pandemie gibt es schon nach wenigen Monaten die ersten Tests mit Freiwilligen. Der Grund? Zum einen gibt flexiblere Impfstoff-Arten, die auf bestehende Konstrukte und Erfahrungen aufbauen, zum anderen Neuentwicklungen – und ordentliche Motoren.

Insgesamt gibt es viele Faktoren für die schnelle Entwicklung eines COVID-Impfstoffs:

Rohdaten schnell verfügbar
SARS-CoV-2 war kein komplett neues Virus: Aufgrund der verwandten Viren SARS und MERS mit vorhandenen Sequenzdaten konnte man das genetische Impfstoff-Konstrukt sehr schnell entwickeln. So ist auch das Spike-Protein, mit dem sich das Virus an die menschliche Zelle bindet, kein Alien gewesen. Anhand der bekannten Struktur und Faltung des Proteins konnte die Entwicklung der Wirkstoffe nun losgehen. Es ist die angriffsempfindliche Stelle, die man sonst über Monate bis Jahre suchen müsste.
Konstrukt
Die genetische Information des Spike-Proteins ist direkt in die Impfstoff-Plattformen eingeflossen: a) mRNA-Impfstoff: Die jahrelange Erfahrung mit der mRNA-Technologie wurde bereits in präklinischen Studien getestet wird. b) Vektorimpfstoffe werden schon länger eingesetzt. So konnte die sonst übliche Zeit für Produktentwicklung und präklinische Testung von 2 bis 4 Jahren auf wenige Monate reduziert werden.
Rückenwind
Staatliche Anreizmechanismen senken das finanzielle Risiko, das sonst Pharmakonzerne allein tragen. Somit sind simultane, statt hintereinander geschaltete Schritte möglich. Wenn sonst eine Entwicklung 10 Jahre dauert, bedeutet dies nicht, dass 10 Jahre geforscht und getestet wird. Zwischendurch gibt es immer wieder Stopps aufgrund fehlender Finanzierungsrunden. Dazu müssen auch Anträge geschrieben und Bewilligungen abgewartet werden.
Anzahl der Probanden
Die beispiellose Pandemie hat unzählige Freiwillige in Kürze hervorgebracht – eine Rekrutierung von Probanden bei anderen Produktentwicklungen benötigt meist eine Menge Zeit.
Parallel statt hintereinander
Statt, wie sonst üblich, einzelne Schritte hintereinander laufen zu lassen, findet bei COVID-19 eine Parallelisierung der Studienzentren weltweit statt, hohe Inzidenzregionen früh eingeschlossen. Somit lassen sich viele Erkenntnisse früher gewinnen.
Behörden: COVID first
Behörden prüfen und bewerten Anträge zu COVID-Impfstoffen primär – vor allen anderen Anträgen – und das mit erheblich aufgestockten Ressourcen. Sie ermöglichen auch, Studienphasen zusammenzulegen. Zusätzlich findet oft eine fortlaufende Datenübermittlung der Studien an Kontrollbehörden statt, sodass sie fließend geprüft und mit Experten bewertet werden können.
Produktion ins Blaue hinaus
Die Hersteller sind bereits zu einem Zeitpunkt in Produktion gegangen, zu dem noch lange nicht klar war, ob ihr Impfstoff in greifbare Nähe der Zulassung gelangt. So kann im Fall einer Genehmigung sehr viel Zeit gespart werden und direkt mit dem Impfen begonnen werden.

In der renommierten Fachzeitschrift Nature findet man eine übersichtliche Grafik, wie in der Corona-Pandemie die Entwicklungszeit eines Impfstoffs von rund 15 Jahren auf 10 Monate bis 1,5 Jahre reduziert werden kann.

 

Paralleluniversum der Impfstoffarten

I. Passive Immunisierung – Akuttherapie

Bei der passiven Immunisierung erhält man Blutserum von Personen, die von einer Covid-19-Infektion genesen und immun sind. Ihr Blutserum enthält ein Cocktail aus verschiedenen Antikörpern gegen unterschiedliche Strukturen des SARS-CoV-2. Das Problem der passiven Immunisierung: Der Körper wird bei der Heilung durch „vorgefertigte Antikörper“ unterstützt. Nach einigen Wochen werden diese Antikörper wieder abgebaut. Es geht hier also um eine medikamentöse Therapie für schwer erkrankte Patienten, nicht um eine anhaltende Impfung.

 

Die Uniklinik Erlangen ist eine der ersten Einrichtungen in Deutschland, die für die Herstellung von therapeutischem Plasma zur Behandlung von schwer erkrankten COVID-19-Patienten vom Robert-Koch-Institut eine behördliche Genehmigung erhalten hat. Der Herstellung lebensrettender Antikörper aus Plasma von geheilten COVID-19 Patienten widmet sich u. a. auch Biotest AG, um so z. B. Patienten mit Immundefekten oder mit Immunsuppression (z. B. aufgrund einer Chemotherapie) schnellen Schutz zu bieten.

Aktuell werden als schnelle Therapie bei COVID-19 auch monoklonale Antikörper in Betracht gezogen: Es handelt sich hier nicht um ein Gemisch, sondern um nur eine ganz spezifische Antikörperart. Deutschland hat bereits Antikörper-Medikamente von zwei Herstellern bezogen (Ely Lilly und Regeneron, vielen vielleicht als Cocktail-Bestandteil der Therapie von Donald Trump bekannt). Erste Studienergebnisse lassen jedoch Zweifel für die Anwendung an schwer Erkrankten. Risikopatienten können sie jedoch vor schweren Erkrankungen bewahren.

Antikörper-Therapie im Fokus – Wo liegt der Haken?

Antikörper-Therapie im Fokus – Wo liegt der Haken
Gewinnt man Blutplasma genesener Covid-19-Patienten, kann dies hunderte, leicht unterschiedliche Antikörper enthalten. Allerdings wirken nur einige davon neutralisierend, also „störend“: Sie binden auf der Virusoberfläche und verhindern entweder dessen die Bindung an die Wirtszelle. Oder sie stören die Strukturänderung der Proteine, wie hier des Spike-Proteins, das es kurz vor Eintritt in die Wirtszelle macht, um sich Eintritt in die Wirtszelle zu verschaffen. Der Türsteher hat somit volle Arbeit geleistet, es kommt gar nicht erst zur Aktivierung der Zellen des Immunsystems.

Hat man solche neutralisierenden Antikörper identifiziert, können sie im Labor massenhaft vermehrt werden und dann als sogenannte monoklonale Antikörper gezielt zur Behandlung von Covid-19-Patienten oder als passive Immunisierung eingesetzt werden. Eine solche Therapie entwickelt beispielsweise die Technische Universität Braunschweig in Zusammenarbeit mit dem Biotechnologieunternehmen YUMAB GmbH im CORAT Konsortium.

Es gibt aber noch Haken: Die „Antibody-Dependent Enhancement“, d. h. eine von Antikörpern verursachte Verschlimmerung. Denn wenn die verabreichten Antikörper nicht 100% passen und das Virus nicht sofort neutralisieren, kann das Virus sogar noch leichter in Zellen eindringen. Ein weiteres Problem kann die Fähigkeit des Virus sein, zu mutieren. Teilweise reicht bereits eine strukturverändernde Mutation im Spike-Protein aus, um die Antikörper-Bindung zu verhindern. Es gibt aber auch hier bereits weiterführende Forschungen: Antikörper-Cocktails aus zwei Antikörpern, die an entscheidenden Stellen des Virus ansetzen, ohne sich dabei gegenseitig zu stören. Sie sollen die Mutationsmöglichkeit ausschließen und eine hohe Neutralisationspotenz besitzen (Science, doi: 10.1126/science.abd0827).

Auch die Herstellung künstlicher menschlicher Antikörper rückt auf den Plan. So konnten Forscher des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) aus einer Vielzahl künstlicher hergestellter Konstrukte 750 Antikörper finden, die an das Coronavirus andocken – als mögliche Therapieentwicklung zur akuten Behandlung von Patienten. An einem vielversprechenden Ansatz mit positiv überraschenden Ansätzen arbeitet auch eine Forschungskooperation aus Köln, München, Tübingen, Marburg, Frankfurt und Israel, wie im letzten Abschnitt „Wie sind die Aussichten?“ unten beschrieben ist.

 

Antikörper können aber immer nur als medikamentöse Akuttherapie dienen, für eine langanhaltende Immunität ist die aktive Immunisierung entscheidend.

 

II. Aktive Immunisierung

Mit herkömmlichen Impfstoffen werden entweder abgetötete oder abgeschwächte Viren verabreicht. Oder auch nur Virusteile – Antigene, wie etwa Oberflächen-Proteinen oder Zuckerketten. Diese wandern ins Lymphgewebe, wo Immunzellen sie erkennen und die Bildung Antikörpern angeregt werden soll. Auch das zelluläre Immunsystem soll auf den Plan rücken und Gedächtniszellen aktiviert werden. Bei einem späteren Kontakt des Geimpften mit dem Erreger ist das Immunsystem alarmiert und kann den Erreger zielgerichtet angreifen.

Impfstoff-Arten bei COVID-19

Lebendimpfstoffe
Dabei werden abgeschwächte (attenuierte) Viren verabreicht, die sich im Körper zwar vermehren können, aber keine Krankheit auslösen. Die Symptome können jedoch ähnlich sein, jedoch in abgeschwächter Form. Der Vorteil dieser Impfung: Unser Immunsystem erinnert sich an diesen Erreger sein Leben lang.

Zu deren Entwicklung macht man sich natürliche Mutationen zunutze: Wissenschaftler suchen im Labor spezifisch solche Virenexemplare heraus, bei denen ein passender Gendefekt vorliegt. Oder sie führen diese Gendefekte durch Bestrahlung oder Chemikalien herbei. Einsatz findet sich z. B. bei Pocken, Masern, Mumps, Röteln, Windpocken/Gürtelrose.

Totimpfstoffe
Für die Herstellung von Totimpfstoffen, wie z. B. für die Grippeimpfung, werden die Viren meist in Hühnereiern gezüchtet und mit Chemikalien im Anschluss zerstört. So erhält man Fragmente, etwa Teile der wichtigen Virenhülle, die als Antigen wirken und die das Immunsystem erkennt.

Der Vorteil: Das Infektionsrisiko ist aufgrund der chemischen Zerstörung extrem gering. Als Nachteil ergibt sich aber einen nicht sehr lange anhaltenden Impfschutz, was Auffrischungen nötig macht. Oftmals werden Zusätze, Adjuvanzien, eingesetzt, um einen ausreichenden Schutzeffekt zu erzielen.
Einsatz findet sich z. B. bei: Keuchhusten, Poliomyelitis, Tollwut, FSME), Hepatitis A.

Vektorimpfstoffe
Bei Vektorimpfstoffen versuchen Wissenschaftler die nötige genetische Information zu den Antigenen, z. B. zu Oberflächenproteinen, in harmlose Trägerviren einzubauen und dieses Konstrukt als Impfstoff zu verimpfen. So nutzen beispielsweise die Kooperation aus der Oxford University und des schwedisch-britischen Konzerns AstraZeneca einen entschärften Adenovirus, einem Schimpansen-Erkältungsvirus, als „Fähre“. Diesem Virus wurden die nötigen Gene genommen, um sich selbst in den menschlichen Zellen vermehren zu können. Stattdessen wurden sie mit einer Bauanleitung für das Spikeprotein von Sars-CoV-2 ausgestattet. Das Immunsystem erkennt die in der Zelle nachgebauten Corona-Proteine und bildet im Idealfall so die passenden Antikörper in ausreichenden Mengen. Die EU-Kommission hat den Corona-Impfstoff von AstraZeneca nach der EMA-Empfehlung am 29.01.21 zugelassen. Die deutsche Impfkommission empfiehlt aufgrund der anhand bisheriger Daten fraglichen Wirksamkeit bei Älteren, dass er nur an Menschen unter 65 Jahren ausgegeben werden soll.

Auch Johnson& Johnson arbeitet an einen Vektorimpfstoff. Ende Januar zeigten ihre Daten der Phase-3-Studie, dass der Impfstoff vier Wochen nach Verabreichung einen 66-prozentigen Schutz vor mittleren oder schweren Covid-19-Krankheitsverläufen aufweist. Zudem wurde die Wirksamkeit hinsichtlich Schutz vor schweren COVID-19-Verläufen ausgewertet. Sie betrug bei allen Erwachsenen ab 18 Jahren 85 Prozent und nahm im Laufe der Zeit zu.

Die Kooperation aus dem Deutsches Zentrum für Infektionsforschung, der Universität München, der Universität Hamburg sowie Universität Marburg müssen ihr Vektor-Konstrukt überarbeiten. Sie konnten Anfang Oktober in die klinische Prüfung starten. Aufgrund der bisher schwachen Wirksamkeit bisher streben sie nun eine Optimierung an.

Genbasierte Impfstoffe: mRNA-Impfstoffe
Sie sind der Hype pur – genetische Impfstoffe. Der Clou dahinter: Man braucht hier nicht mal einen Vektor. Da sich Viren nicht selbst vermehren können, greifen sie auf die Maschinerie der Wirtszellen zu: Sie dringen in Zellen ein und lassen dort ihr Viruserbgut ablesen, das als Bauplan dient, um einzelne Teile des Virus nachzubauen. So lässt es sich vervielfältigen, um im Anschluss andere Zellen zu befallen. Diesen Trick nutzen nun Forscher: Spritzt man dem Körper einen genetischen Bauplan, kann in den Körperzellen dieser Teil des Erregers selbst gebaut werden. Und somit das Immunsystem mit einer möglichst umfassenden Immunantwort, die einer natürlichen gleicht, reagieren lassen. Im Falle von Sars-CoV-2 geht es dabei meist um das Spike-Protein. Die große Unbekannte dabei: Die Methode ist noch relativ neu, bisher ist noch kein genetischer Impfstoff zugelassen. Da RNA im Gegensatz zu DNA nicht in das menschliche Erbgut eingebaut werden kann, ist diese mRNA-Impfstofftechnologie sicher und besonders aussichtsreich.

Aufgrund der guten Daten aus Phase-3-Studien wurden sowohl der mRNA-Impfstoff der Kooperation Biontech/Pfizer (Mainz, USA) als auch der des US-Unternehmens Moderna bereits zugelassen. Das Tübinger Unternehmen, Vorreiter dieser mRNA-Technologie, strebt eine Zulassung bis Frühsommer an (ausführlicher Artikel: CureVac als Pionier der mRNA-Technologie – Was steckt hinter dem neuartigen COVID-19-Impfstoff?).

Hersteller von Impfstoffen bei COVID-19 und der aktuelle Stand ist im folgenden Beitrag beschrieben:

Wie sind die Aussichten?

Es gibt Mikroorganismen, gegen die sich einfach keine Impfstoffe entwickeln lassen, wie z. B. gegen HIV und Hepatitis-C-Viren (HCV). Beide Viren sind sehr gut darin, unserem Immunsystem zu entwischen. Und die Immunantwort, die bisher entwickelte Impfstoffkandidaten in unserem Körper auslösen, schützen offenbar nicht vor einer Infektion.

Sollte es bei einer Infektion mit dem neuen Coronavirus genauso sein? Viele Forscher beschreiben, dass bisherige Studienergebnisse dagegensprechen. So entwickelten Rhesusaffen eine stabile Immunantwort, nachdem sie mit einem Impfstoff aus abgetöteten SARS-CoV-2-Viren behandelt worden waren, auch war eine Reinfektion nicht mehr möglich (Science DOI: 10.1126/science.abc1932, 03.07.2020). Ein Grund dafür kann sein, dass sie weniger variabel wie etwa HIV und HCV sind. Bei HIV und HCV hingegen kursieren innerhalb der Bevölkerung zahlreiche Versionen, die sich dazu ständig weiter verändern. Auch wenn sich das neue Coronavirus seit seinem erstmaligen Auftreten in China bereits verändert hat und die Version, erstmals in Europa identifiziert, nun als Wildtyp-Variante angesehen wird und dominiert, ist die Mutationsrate, verglichen mit Viren wie HIV oder Influenza, geringer.

Und die neu auftretenden Virus-Varianten?

Es hat sich aber gezeigt, dass das neue Coronavirus sein Erbgut umarrangieren kann, d. h. es kann kleine Bereiche seiner RNA mit anderen Coronaviren austauschen. Grippeviren machen dies etwas anders: Sie tauschen ganze Gensegmente aus, deshalb muss jedes Jahr der Grippe-Impfstoff angepasst werden. Coronaviren dagegen haben kein segmentiertes Genom. Es wird derzeit davon ausgegangen, dass Veränderungen in dieser Größenordnung für diese Viren vorerst nicht zu erwarten sind.

Die neu auftretenden Varianten – britische, südafrikanische und brasilianische – werfen jedoch Spekulationen auf. Nicht nur zur erhöhten Übertragbarkeit, sondern auch zur Immunität: Ist man nach einer durchgemachten Infektion durch eine solche Variante möglicherweise nicht mehr so lange immun? Wirken die Impfstoffe gegen die neuen Varianten weniger gut? Auch wenn Biontech-Pfizer anhand bisheriger Studien keine Beeinträchtigung der Wirksamkeit durch die britische, südafrikanische Variante erwartet, sieht es mit der brasilianischen Variante anders aus. Verlässlichere Daten werden die kommenden Wochen liefern.

Aber: Eine Immunität beruht nicht nur auf Antikörper, die im Blut patrouillieren. Es geht immer um das gesamte Immunitätsgeschehen, und das schließt neben Antikörpern auch Immunzellen ein. T- und B-Lymphozyten bilden zum einen Gedächtniszellen, die nach einer erneuten Infektion sowohl Antikörper neu bilden als auch weitere Immunzellen (z. B. Fresszellen) sowie Enzyme und Substanzen (wie Interferone) auf den Plan rücken lassen. Wie komplex unser Immunsystem ist, um Krankheitserreger wirksam zu bekämpfen, ist hier beschrieben.

Manchmal ist es einfach klasse, wenn wir Menschen so komplexe Kreaturen sind.

 

 

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