Abenteuer pur – drei Extremsportler und eine abgefahrenen Idee: vom Zeppelin abzuseilen und auf Skiern abzufahren. Auch die Piloten kamen dabei an ihre Leistungsgrenze – sowie der Hauptakteur selbst: der Zeppelin. Für wissenschaftliche Zukunftsprojekte ist der Einsatz von Luftschiffen aber nahezu grenzenlos …
Bilder: ©Mirja Geh, ©Daniel Hug
Zeppelin – und schon sind vielen die Bilder der brennenden Hindenburg im Kopf. Und befindet sich direkt mitten in Lakehurst: Am Tag des 6. Mai 1937, als sich die Wasserstofffüllung des bis dato größten Luftschiffs entzündete und somit das vorläufige Ende der Luftschifffahrt einläutete. Kein Wunder, dass für die Neuentwicklung des Luftschiffs massenweise spezialisiertes Entwicklungs-Know-how und High-Tech eingeflossen ist. Die Wiederbelebung ist geglückt: Seit 2001 gehen in Friedrichshafen wieder Personen an Bord eines Zeppelins. Heute ist das Unternehmen am Bodensee das einzige, das Flüge im Zeppelin kommerziell anbietet. Darüber hinaus wird es zu vielversprechenden, zukunftsreichen Forschungs- und Überwachungsaufgaben eingesetzt.

 

Das tragende Schiff

Für den Zeppelin NT – „NT“ der Baureihe steht für „Neue Technologie“ – wurde ein neuartiges Bauprinzip konzipiert: Weltweit einzigartig besitzt es im Unterschied zum Prallluftschiff eine starre Innenstruktur, besser gesagt eine halbstarre. Stabilisiert wird es im oberen Teil mittels einer speziellen Leichtmetall-Konstruktion aus Karbon, die durch Aluminiumträger verbunden und mit Kunststoffseilen verspannt ist.

Wie hält sich das Luftschiff in Form? Das geht auch bauchig, und zwar gefüllt mit dem nichtbrennbaren Traggas Helium. Cockpit und Kabine, Leitwerke sowie die Antriebe sind direkt an dieser Tragstruktur befestigt, sodass auch bei Druckverlust noch eine sichere Manövrierfähigkeit gewährleistet ist. Mit einer Länge von 75 Meter ist das Luftschiff mehr als viermal so lang wie ein LKW mit Anhänger.

 

Adrenalingefüllte Hauptdarsteller

Was für die einen die längste Luftblase der Welt ist, ist für drei Extremsportler ein neuer Erfahrungshorizont – wenn auch ein surrealer: Stefan Anger und Andreas Gumpenberger, die Gründer von Lensecape Productions, und der professionelle Big Mountain-Skifahrer Fabian Lentsch hatten einen gemeinsamen Plan: Vom Zeppelin auf einen Berggipfel abzuseilen, um von dort auf Ski und Snowboard die Steilwände hinabzufahren.

Mit Adrenalin haben sie generell guten Umgang. Doch dieses waghalsige Abenteuer Zeppelin-Skiing übertrifft ihre bisherigen Extremsporterlebnisse und Filmproduktionen, da zu viele physikalische Parameter berücksichtigt werden müssen. Ein unerreichbares Luftschloss also? Auch wenn die drei Freunde oft in entlegene Gebiete wie Karakorum vordringen, fühlen sie sich den österreichischen Alpen zutiefst verbunden. Allem voran ihrer Heimat Tirol, wo Stefan Anger und Andreas Gumpenberger z. B. im vergangenen Herbst als Co-Producer auch einen Kurzfilm mit Jessica Henwick drehten. Die Schauspielerin ist u. a. aus Game of Thrones, Star Wars und Marvel’s Iron Fist bekannt.

Was aber ist das Objekt der Begierde für ihre ziemlich luftige Idee? Fündig wurden die drei Alpinisten im benachbarten Bundesland Vorarlberg, Brandnertal. Der idyllische Talschluss liegt unweit des Headquarters des Hauptakteurs dieser Episode, dem Zeppelin. Dort streckt sich aus dem Rätikon-Gebirge zwischen Liechtenstein, Österreich und die Schweiz der Kleine Valkastiel heraus. Mit 2.233 m ist er allerdings nicht gerade klein. Wie also kommt ein solches Luftschiff, das generell für geringe Höhen konzipiert ist, auf über 2.200 Meter?

 

Das Spiel mit den physikalischen Parametern

Zeppelinwerft am Bodensee. Das Luftschiff liegt fest verankert bei der Deutsche Zeppelin-Reederei in Friedrichshafen am Bodensee. Jeder kann dort privat Flüge buchen – mit Flügen auf bis zu 300 Metern Höhe wohlgemerkt.

Die Flugpiloten der Reederei am Bodensee hatten das Vorhaben der drei Freerider lange kritisch durchdacht und unglaublich viele Berechnungen angesetzt, bis sie sich schließlich dem Wagnis stellten. Zum Erreichen des Valkastiels war klar: Der Zeppelin muss an das absolute Höhenmaximum gehen. Dabei entscheiden jede Temperaturschwankung, jeder Luftdruckunterschied und Luftwiderstand sowie jedes Gramm Gewicht über Erfolg oder Misserfolg.

Drehschrauben sind Menge und Dichte des Traggases. Unbrennbares Helium innerhalb der Hülle sorgt für den notwendigen Auftrieb. Da der Auftrieb geringer ist als das Eigengewicht des Gases, kann der Zeppelin auf dem Boden „stehen“ und benötigt keine große Bodenmannschaft, um es zu halten. Weil er nicht leichter als Luft ist, werden Motoren benötigt, um Höhe zu gewinnen. Beim Zeppelin NT sorgen drei spezielle Schwenkpropeller für das bekannte Bild: senkrechtes Starten, punktgenaues Landen und einen vibrationsarmen Flug.

Sie ist riesig, die bauchige Gestalt. Seine Form erhält der Zeppelin NT erst durch das Aufpumpen der Kunststoff-Hülle, die gleichzeitig die Gas-Zelle ist. Als die drei Abenteurer bei einem Testflug schließlich unter dem riesigen, 75 Meter langen Luftschiff standen, fanden sie die Situation absurd. Die größte Herausforderung bestand zunächst aber für das Luftschiff selbst: Würden es sämtliche physikalischen Größen und äußere Umstände selbst unter Idealbedingungen ermöglichen, die für den Valkastiel anvisierte Höhe und Reichweite zu erreichen?

Damit ein Zeppelin schwebt, muss die Auftriebskraft so groß sein wie die Gewichtskraft der von ihm verdrängten Luft. Das Spiel lässt sich mit einer Füllung mit dem nicht brennbaren Gas Helium spielen. In der Hülle aus hochfestem Mehrschichtlaminat befinden sich Ballonets, also Luftkammern, in denen ein leichter Überdruck herrscht. Sie gleichen die Volumenänderung des Traggases aus, halten so im Inneren den Druck bei jeder Flughöhe konstant und sorgen dafür, dass die Hülle prall bleibt. Um bei wechselnden Temperaturen und sich ändernden Luftdruck in unterschiedlichen Höhen fliegen zu können, kann aus den Luftsäcken beim Aufstieg gezielt Luft abgelassen werden. Ist die gesamte Luft bereits abgelassen und will man dennoch höher hinaus, bleibt nur noch: Helium ablassen, was dann aber bei der Landung fehlt.

In der anvisierten Höhe von über 2.000 m müssen die Piloten also an die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Luftschiffs gehen und sämtliche Szenarien durchspielen. Für ein Vorhaben wie das Projekt Valkastiel benötigen sie – neben einer guten Sicht, moderatem Wind und optimalem Luftdruck – Minustemperaturen. Erst dann erhält man genug Auftrieb. Und die Steilwand-Skifahrer? Sie brauchen Schnee, dicke Nerven und ruhiges Blut, das noch Platz für eine Riesenportion Adrenalin lassen würde.

 

Abgehoben bis zur No-Fall-Zone

Laut Flugpilot Fritz Günther hat sich bisher kein Luftschiff in ein solches Projekt vorgewagt. Eine Riesen-Herausforderung also für die Piloten und den Zeppelin NT, der mit seinen launischen blinden Passagieren, den physikalischen Parametern, umgehen muss. Die Challenge für die Akteure: Beim Abseilen an dem vorgeschriebenen, aber ungewohnten Abseilgerät, zusammen mit sperrigen Rücksäcken und Skiern, darf ihnen kein Fehler unterlaufen. Und dann die Line down: Im Unterschied zu anderen Abfahrten gibt es beim Steilwandfahren keinen Auslauf, sondern nichts als Abbruchkanten und steile Hänge. Oberstes Kommando also: Stürzen verboten. Klar. What else?

Am geplanten Starttag dann das Spiel mit den Faktoren: In den oberen Luftschichten war es nicht so kalt wie erwartet, die Piloten ließen Ballast ab, um an Höhe zu gewinnen – Effekt: ungenügend. Der Griff musste zum Helium-Ventil wandern, wobei sich das Luftschiff mit jedem dieser Hebelgriff seiner Leistungsgrenze nähern würde. Berechnungen folgten, und dann doch:

Als sich die Luke öffnete, hatten die Extremsportler mindestens 60 Meter freie Luft unter den Füßen, und alles was sie sahen, war Schnee und Fels.

 

Am seidenen Faden

„Während wir uns am 50 Meter langen Seil hinunterließen und nach oben schauten, sahen wir nichts als ein riesiges Luftschiff über uns“, beschrieb Andreas Gumpenberger die spektakuläre Abseilaktion. Die drei Extremsportler beschrieben später, dass sie das Gefühl hatten, von einer Wolke abzuseilen. Ganz so locker-flockig verlief die Abseilaktion zwar nicht. Fabian Lentsch kämpfte mit dem Abseilgerät und wurde fast wieder von der Abseilstelle weggerissen. Doch schließlich hatten sie es geschafft und standen vor einem atemberaubenden Panorama. Am Point of no Return. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Linie steiler ist als die berühmte Mausefalle auf der „Streif“ in Kitzbühel, eine der schwierigsten und gefährlichsten Rennpisten der Welt.

Die Aktion verlief spektakulär und glücklich, wie die Piloten aber verlauten ließen, auch haarscharf „am Anschlag“. Also das, was Extremsportler suchen. Die Werft-Betreiber hingegen suchen sonst eher das Ruhige. Sie lieben das gleichmäßige Schweben über der Landschaft. Statt dicht gedrängt in einem Flugzeug zu sitzen, können sie und die Passagiere den Blick durch große Fenster genießen und die Welt von oben ganz anders sehen. Und zwar entdeckungsreich – durch den langsamen und vibrationsarmen Fug in nicht allzu großer Höhe.

 

Forscherdrang und Fernerkundung

Entdeckungsreich – genau das ist es auch als fliegendes Labor, wissenschaftliche Plattform oder Beobachtungsstation. Schien die Ära der Zeppeline zunächst vorbei, erleben sie seit Beginn des 21. Jahrhunderts ein Comeback. Neben kommerziellen Zwecken dienen die Luftschiffe der Überwachung von Verkehr, Veranstaltungen oder Wetter. Zum Beispiel untersuchte der Zeppelin NT während der Fußball-WM 2006 die Verkehrsströme rund um die Stadien. Auch während des FIFA Confederations Cup 2005 diente er als Multimediaplattform mit Live-Übertragung von Bild und Ton. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zieht Echtzeit-Luftaufnahmen aus dem Zeppelin heran, um mit moderne Leitsystemen dem Verkehrsstau bei Mega-Events entgegenzuwirken. Im EU-Projekt PEGASOS nutzten Wissenschaftler den Zeppelin NT als fliegende Forschungsstation, um zu klären, wie chemische Vorgänge in der Atmosphäre die Erderwärmung beeinflussen. Dabei reicht die Atmosphärenforschung von Erkundung freier Radikale, Spurengase bis hin zu Aerosolen und ermöglicht vielfältige meteorologische Messreihen.

Mit zunehmendem Wissen über Klimaveränderungen rückt die Erforschung zu Gegenmaßnahmen immer mehr in den Fokus. Dazu wird die luftgestützte Multispektralanalyse immer bedeutender. So lassen sich Energieverluste von Wohn- und Industriegebäuden mit einer Infrarot-Wärmebildkamera fotografisch festhalten. Gerade weil derartige Messflüge in einer Höhe von rund 600 Meter mit Hubschrauber oder Flugzeuge nicht genehmigt werden, kann der Zeppelin hier wertvolle Dienste leisten. Spezielle Befestigungsmöglichkeiten für Spezialkameras, Messinstrumenten und Sensoren ermöglichen dabei eine vibrationsarme und störungsfreie Fernerkundung mit einer Flugdauer von bis zu 20 Stunden. Trotz hoher Nutzlast sollen die Betriebskosten dabei gering sein.

Der Sensorik sind keine Grenzen gesetzt: So lassen sich Erdmagnetfeldmessung aus der Luft aufzeichnen. Die Fernerkundung erstreckt sich auch auf Reflexionen von GPS-Signalen auf Wasseroberflächen als satellitengestütztes Tsunami-Warnsystem.

Die Deutschen Zeppelin-Reederei GmbH steht hier nicht alleine da: Auch das Deutsche Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) hat das Potenzial des Zeppelin NT in der nationalen und globalen Umwelttechnik erkannt. So sind Einsätze zur Ermittlung von Wasserverschmutzung, Stickoxid-, Ozon- und Partikelschadstoff-Messungen sowie kommunaler Energie- und Lichtemission (z. B. durch Straßenbeleuchtung) möglich.

 

Von Mobilfunk und fernen Planeten

Der Blick des fliegenden Auges kann aber noch weiter reichen. Auch der Einsatz für den Mobilfunk ist denkbar: in entsprechender Höhe als unbemannte Höhenplattform mit Solarantrieb, ohne die von Satelliten bekannte Verzögerung. Ein solches Projekt strebt beispielsweise die US-amerikanischen Firma Techsphere Systems an.

Wenn es um Flugkörper geht, ist die NASA nicht weit: In dem „High Altitude Venus Operational Concept“ genannten Projekt hat sie die Venus im Visier und plant sogar, die bemannte Raumfahrt wieder aufzunehmen – in einem recht komplexen Gefüge aus Raumfähren und Luftschiffen, einer Art Zeppelin-Stadt. Klingt futuristisch und nicht gerade einladend? Zugegeben ja. Mit ihrem kargen Landschaftsbild, giftigen Gasen und den gerade mal knapp 500 Grad Celsius ist die Venus auch alles andere als ein einladender Ort. Im anvisierten Außenposten der Atmosphäre rund 50 Kilometer über dem Boden sollen die Lebensbedingungen schon angenehmer sein. Gerade weil die Atmosphäre der Venus viel dichter ist als die auf unserer Erde, sind Luftschiffe dafür gut geeignet. Sie sollen mit dem Traggas Helium gefüllt und mit Sonnenenergie betrieben werden. Ob und wann das Projekt reelle Züge annimmt, steht allerdings noch in den Sternen … .

 

Als Tourist muss man nicht so hoch greifen, weder in Richtung Venus, noch auf 2.000 Meter Höhe. Wenn man aber doch etwas abheben will, kann man in Friedrichshafen Zeppelinflüge buchen. Und jenseits der No-Fall-Zone ganz relaxed auf 300 Meter Höhe schweben.

Noch bodenständiger lässt sich die Welt um das Luftschiff im Zeppelinmuseum erleben. Das Kribbeln im Bauch wird sich bei vielen vielleicht auch hier bereits einstellen. Im Zeppelin-Museum fand Ende vergangenen Jahres auch die TV-Premiere „Zeppelin-Skiing – mit dem Luftschiff in die Berge“ statt.

 

Bilder: ©Mirja Geh, ©Daniel Hug